Ein Statement dafür, dass es auch anders geht, als viele meinen: „AN DEN ALPTRAUM“ von Charlotte Brandi bricht mit derart vielen Klischees, dass die Jurys sämtlicher wichtiger Preise mehr als aufmerksam auf diese Platte und ihre Macherin werden sollten!
In den Achtzigern lief eine Sendung namens „Tao Tao – Tiergeschichten aus aller Welt“ im Fernsehen. Worum es – fern eines kleinen Pandabären, der von links nach rechts durchs Bild rollte – ging, das weiß der Autor dieses Beitrags nicht mehr. Was ihm aber im Gedächtnis geblieben ist, sind die Melodie und Ästhetik des Titelsongs. Und genau die arbeiteten sich vom letzten Hinterstübchen binnen Millisekunden nach vorn in die Aufmerksamkeitszentrale seines Gehirns, als er zum ersten Mal Charlotte Brandis „AN DEN ALPTRAUM“ hörte – neben vielen anderen neuronalen Explosionen, die derweil im Umfeld detonierten. Plötzlich waren sie wieder da, diese wohlig-warmen, von Ethnoeinflüssen geprägten Retro-Vibes, die vielleicht am ehesten an den Schlagerpop der Sechziger und Siebziger erinnern mögen. Damals, als der Begriff Schlager noch nicht als Schimpfwort galt, sondern eine Art Auszeichnung darstellte. Ein Qualitätsmerkmal für ein originelles, eigenständiges Genre, das die Massen begeisterte und ihnen nach langer historischer Dunkelheit ein Fünkchen Freude zurückschenken konnte. Brandi knüpft eben dort an, wenngleich die Botschaft ihrer LP eine andere sein mag. Ermutigt die Platte schließlich dazu, sich den eigenen Dämonen, die einen während des Schlafs in Form von tückischen Bildern heimsuchen, zu stellen. Nur muss das ja nicht zwangsweise auch mit Pathos einhergehen. Die Leichtigkeit, die den Songs auf „AN DEN ALPTRAUM“ anhaftet, erweist sich nämlich als deutlich hilfreicher, Nachtmare in platzende Seifenblasen zu verwandeln. Getragen von Instrumentierungen, welche die Quintessenz einer musikalischen Vergangenheit destillieren, in der sich noch wirklich Gedanken um jeden einzelnen Gitarrenriff, jedes Scheppern und jedes Stilelement gemacht wurde, vermag es Charlotte Brandi, eine beachtliche akustische Bandbreite aufzufahren. Da sind fast schon sakral anmutende A-cappella-Chöre, alpine Jodler und ein aufgebürsteter Indierock, der trotz aller rückwärtsgerichteten Referenzen frischer als all das klingt, was tagtäglich aus dem Radio klimpert. Und dann wäre da noch das lyrische Talent der gebürtigen Ruhrpottlerin, das wahrlich seinesgleichen sucht. Brandi vermag es, deutschsprachige Musik nach aller Kritik und Ablehnung so aufzuwerten, dass es einem schnell ein breites Grinsen ins Gesicht malt. Deutsch ist eine Bildsprache. Eine, die zu Metaphern und Vergleichen einlädt. Das geht schon mal verloren, wenn Sido zusammenreimt, was alles in seinem Blog „abgeht“, oder Betrunkene im Bierzelt lauthals „Dicke Titten, Kartoffelsalat“ mitbrüllen. Umso schöner, dass Passagen wie „Eine kleine Todesangst kommt immer mit mir mit. Keiner eurer hellen Sterne hält sie zurück. Wie ein weißes Wiesel frisst sie sich in mein Gewebe. Mach, dass Sand aus mir rausrieselt, bis ich schwebe!“ ein Gegengewicht dazu bilden. Damit aber nicht genug! Denn auch produktionstechnisch setzt die ehemalige Frontfrau von Me and My Drummer auf Ausgleiche. So verzichtete sie im Zuge dessen gänzlich auf cis-männliche Hilfe und realisierte „AN DEN ALPTRAUM“ einzig mit FLINTA*-Personen, und zwar vor, hinter, neben und vielleicht auch unter all den Apparaturen, die es braucht, um eine Platte zu realisieren. Rundum gelungen, Frau Brandi!
*Die Abkürzung FLINTA steht für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans und agender Personen

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