Wirkt lange nach: Daughter demonstrieren, wie differenziert und geschickt eine Wall of Sound zusammengeschustert werden kann. „Stereo Mind Game“ ist produktionstechnisch und stilistisch ein Vergnügen.
Es kommt immer wieder vor, dass wir uns von uns selbst entfernen. Dass wir unsere Werte, unsere Hoffnungen und Zukunftsvisionen aus den Augen verlieren und in dunklere, sorgenverhangenere Ebenen des Seins abdriften. Plötzlich schauen wir uns um und sind allein. Haben Menschen, die uns etwas bedeuteten, zurückgelassen oder sind zu schnell in eine unbekannte Richtung abgebogen, als dass sie uns hätten folgen können. Ob man es depressive Tendenzen, seelische Erschütterung oder Orientierungslosigkeit nennen mag, als fühlende Wesen gelingt es den wenigsten von uns, den Kopf immer über Wasser zu halten. Elena Tonra, Igor Haefeli und Remi Aguilella entschieden sich 2018, ihr gemeinsames Projekt Daughter nach der Veröffentlichung des zweiten Studioalbums „Not To Dissapear“ und dem anschließenden Videospiel-Soundtrack „Music From Before The Storm“ ruhen zu lassen. Ironischerweise, möchte man sagen, wenn man die Titel der beiden Platten mit diesem Hintergrundwissen betrachtet. Und trotzdem führte es das Trio vor zwei Jahren erneut zusammen, nachdem Tonra sich zwischenzeitlich ihrem Soloprojekt Ex:Re gewidmet hatte und die anderen beiden anderweitig aktiv gewesen waren. Mit „Stereo Mind Game“ feiern Daughter schlussendlich ihre kreative Wiedervereinigung und liefern lyrisch wie soundtechnisch die passende Untermalung für jenen Schritt. Die Platte bietet alles, wofür die Band vom Publikum geliebt wird: Elektrifizierten Indierock, der in Kombination mit folkigen Impulsen und orchestralen Sequenzen – im Falle von „Stereo Mind Game“ durch Streicher- und Blechbläserarrangements realisiert – zu einem eigensinnigen Ganzen verschmilzt. Durchdrungen von Tonras ebenso rauem wie weichem Gesang vermag es das Album, das Gefühl von Zerrissenheit für die Zuhörenden erlebbar zu machen und trotzdem auch einen Ausweg aus der Finsternis zu offerieren. Wie helle Streifen an einem von dunklen Wolken beherrschten Himmel. Sich diesem Gedankenspiel hinzugeben, sich der Angst zu stellen, für einen Moment fortgetragen zu werden, ohne zu wissen, wohin genau, wird mit einer extrem außergewöhnlichen, feinsinnig inszenierten Reise durch ausladende Klanglandschaften belohnt.

Kommentar verfassen