REVIEW: Feist „Pleasure“

Auf der Straße und in den U-Bahnen schauen Menschen gebannt auf ihr Smartphone, ziehen ein paar Kopfhörer aus der Tasche und beginnen zu strahlen. In den Redaktionen der Musikmagazine herrscht derweil Aufruhr. „Habt ihr die Pressemitteilung gerade gelesen? Das ist ja fantastisch, schaltet sofort die Soundanlage ein!“, hört man es durch die Büros hallen. Plattenläden sichten ihre „Interpreten mit F“-Spalten und versuchen verzweifelt Platz zu machen, um dem Ansturm gerecht zu werden, den sie in den kommenden Wochen erwarten. Die Grande Dame des Indies, Leslie Feist, bringt ein neues Album auf den Markt und die Welt reagiert darauf mit größtem Vergnügen – man verzeihe die plumpe Anspielung des Autors auf den Plattentitel „Pleasure“. Fast sechs Jahre hat sich die gebürtige Kanadierin Zeit gelassen, um ihre bisherigen Erfolge zu reflektieren und mit „Pleasure“ eine LP zu formen, die sowohl viele Erfolgsrezepte ihrer Vorgänger aufgreift, als auch vehement gegen diese ankämpft. War ihr internationales Debüt „Let It Die“ (2004) – zuvor hatte Feist bereits das folkige „Monarch (Lay Your Jewelled Head Down)“ (1999) veröffentlicht – eine Ode an die Verspieltheit des Indie Pops, „The Reminder“ (2004) ein durchschlagender Erfolg, der selbst den Mainstream aufrüttelte, und „Metals“ (2007) eine Besinnung auf die Schönheit akustischer Kargheit, so stellt „Pleasure“ wohl das bisher radikalste Werk in der Karriere der 41-Jährigen dar.

Ein Geniestreich, ein Album, wie es wohl niemand anderes hätte schreiben und einspielen können, das ist Feists „Pleasure“. Schon lange war klar, dass das Talent der Ausnahmekünstlerin schier unerschöpflich zu sein scheint und wesentlich mehr Überraschungen bereithält, als man es von vielen ihrer Kollegen erwarten kann. Dass „Pleasure“ jedoch zu dem geworden ist, was es nun ist, das sorgt schlichtweg für Gänsehaut. Anstatt sich auf den Lorbeeren auszuruhen, die sie in den letzten Jahren eingefahren hat, jagt Feist den flüchtigen Intuitionen und Impulsen hinterher, die ihr durch den Kopf geschossen sein müssen, als sie die Ideen für ihre neue Platte zusammentrug. Erstmals, seit ihren frühen Anfängen in der Punkcombo Placebo In Calgory, kehrt Feist zu einer ungeschliffenen akustischen Gewalt zurück, die sich auf „Metals“ zwar andeutete, allerdings in diesem Ausmaß keineswegs zu erahnen war. Das mag anfänglich zwar verstörend auf den einen oder anderen Hörer wirken, packt ihn jedoch spätestens im darauffolgenden Moment, bis es kein Entrinnen mehr gibt. Es wäre vermessen, von Höhepunkten auf „Pleasure“ zu sprechen, gibt es darauf doch keinen einzigen Song, der dem hohen künstlerischen Anspruch einer Leslie Feist nicht gerecht werden kann. Spannend ist vor allem das Spiel mit Härte und Nachgiebigkeit, das den elf Songs ihren ambivalenten Charakter verleiht. Feist scheut sich nicht, sowohl ihr Gitarrenarrangements als auch ihre beeindruckende Stimme an die Grenzen der Belastbarkeit zu führen. Immer wieder findet sie die richtigen Töne, um die Schärfe von Tracks wie „I’m Not Running Away“ oder „Lost Dreams“ abmildern und in ihrer Wirkung kontrastieren zu können. Meisterlich von ihren Langzeitkollaborateuren Mocky sowie Renaud Letang in Szene gesetzt, und mit einem großartigen Gastspiel Jarvis Cockers („Century“) abgerundet, dürfte „Pleasure“ zahlreiche Top10-Listen gegen Ende des Jahres beherrschen. Feist bewahrt den Glauben daran, dass es da draußen noch echte Koryphäen in Sachen Alternative gibt.

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