Ihre Kreativität kennt kein Verfallsdatum: Tori Amos legt auf „Ocean To Ocean“ dar, warum sie noch lange nicht zum alten Eisen gehört, sondern stetig mit und an ihren Aufgaben wächst.
Seit über 30 Jahren ist Tori Amos im Geschäft und zählt zu den wohl wichtigsten Pop-Aktivistinnen unserer Zeit. Dekaden vor #metoo prangerte sie bereits die systematische Unterdrückung von Frauen durch Männer in ihren Songs an und ging gleichzeitig offen mit einem der wohl traumatischsten Erlebnisse ihres Lebens um: Dem Missbrauch durch einen vermeintlichen Fan. Wie viel Stärke muss diese Frau besitzen? Tori Amos kam irgendwann an den Punkt, an dem sie entschied, nicht mehr Gefangene äußerer Strukturen sein zu wollen. Ungebunden wie ein Vogel wandert sie deswegen seither um den Globus und betört die Menschen mit ihrer Musik. Mal steht sie an den Klippen Cornwalls – wie auf dem Cover ihres neuen Albums „Ocean To Ocean“ – und lässt den Wind durch ihr rotes Haar fegen, mal sonnt sie sich in der Hitze Floridas, ihrer Zweitheimat. Der Lockdown pferchte die freiheitsliebende Chanteuse dann aber ungewollt in einen goldenen Käfig, wo Rufe aus der Vergangenheit ihren Verstand befielen. Aus Hilfe zur Selbsthilfe in dieser unnatürlich anmutenden Ausnahmesituation griff die gebürtige North Carolinarin beherzt zu Stift und Mikrofon, setzte sich ans Klavier und komponierte eine Platte, die viele andere innerhalb ihrer umfangreichen Diskografie in den Schatten zu stellen vermag. „Ocean To Ocean“, ihr sage und schreibe 17. Studioalbum, kehrt zurück zu dem mentalen Zufluchtsort, an dem ihr Durchbruchserfolg „Little Earthquakes“ einst Wurzeln schlug. Dort anknüpfend fesselt die LP durch ihre stilistische Vielfalt, ihre ungeschönten, ehrlichen Lyrics und die noch immer derart eindringliche Stimme der 58-Jährigen, dass man das Gefühl hat, sie stehe direkt neben einem und wispere ins Ohr. Es gibt wenige Songwriter*innen, von denen man mit Sicherheit sagen kann, dass ihr akustisches Erbe auch über das irdische Ende hinaus nachklingen wird. Bei Tori Amos fällt diese Einschätzung hingegen kaum schwer. Mit ihrem musikalischen Innovationsgeist, der auch „Ocean To Ocean“ vom ersten bis zum letzten Track durchzieht, ist sie zum Rollenmodell für viele ihrer jungen Kolleg*innen und zu einer unverkennbaren Ikone des Alternative Pops geworden.
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