Bevor Emiliana Torrini und das Colorist Orchestra am Montag, den 20.03.2023, die Bühne des Großen Sendesaals des rbb betraten und ein unsagbar beeindruckendes Konzert ablieferten, trafen wir uns mit der liebenswürdigen Isländerin und den beiden Gesichtern hinter The Colorist, Aarich Jespers und Kobe Proesmans, in den Katakomben des Gebäudes, genauer gesagt im Kantinenraum, um dort ein wenig zu fachsimpeln. Die drei Vollblutmusiker*innen verrieten uns, wie es zur Entstehung ihrer aktuellen LP „Racing The Storm“ kam, wie Covid die Produktion verlangsamte und welchen Stürmen sie trotzen mussten und müssen, um bei den aktuellen Entwicklungen der Musikbranche nicht davon geweht zu werden.
Warum klickt es gut zwischen euch?
Aarich: Weil wir schon lange zusammenarbeiten.
Emiliana: Da ist eine Verbindung, die sich sofort einstellt. Sie fühlt sich natürlich an.
Kobe: Außerdem mögen wir ähnliche Dinge, sowohl klanglich wie ästhetisch und künstlerisch. Aber auch, was menschliche Verbindungen betrifft. Es gibt einfach eine gute gemeinsame Basis. Obwohl wir drei recht unterschiedlich sind.
War euch diese Verbundenheit direkt klar, als ihr vor sechs Jahren das erste Mal aufeinandergetroffen seid?
Kobe: Nein, anfangs nicht. Es ging schlicht darum, zusammen fünf Konzerte zu spielen. Während der Proben merkten wir dann aber, dass wir viel Spaß dabei hatten. Nach den Shows entschieden wir, einen Schritt weiterzugehen. Nur war das ursprünglich nicht die Absicht. Wir kannten uns ja gar nicht.
Ihr nahmt dann eine Live-Platte auf. Vor ein paar Tagen folgte schließlich die Veröffentlichung eines Albums mit Originalsongs. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Emiliana: Nach den fünf Konzerten konnten wir nicht glauben, dass es das schon gewesen sein sollte. Also tourten wir noch ein wenig und wieder kam dieses Gefühl auf, dass es weitergehen sollte. (lacht) Zudem waren wir neugierig, wie es wäre, gemeinsam Songs zu schreiben. Nur, weil man als Liveband harmoniert, heißt das nicht automatisch, dass das auch beim Songwriting funktioniert. Wo es doch aber so gut miteinander war, wollten wir wissen, ob es nicht noch besser werden kann.
Wie lief der Arbeitsprozess ab? Habt ihr euch persönlich getroffen oder Files übers Internet ausgetauscht?
Kobe: Es war eine Kombination aus beidem. Da Emiliana in Island und wir in Belgien waren, sind wir auch immer ein Stück weit auf digitale Wege angewiesen gewesen. Wirklich Fahrt aufgenommen hat das Projekt aber erst, als wir zum Schreiben zusammenkamen. Da merkten wir vor allem, was nicht funktionierte. Ideen in Belgien vorzubereiten und sie mit nach Island zu nehmen, erwies sich für den Anfang als zu unzugänglich, um weiter damit arbeiten zu können. Wir probierten vieles aus. Emiliana kam dann zu uns und wir bezogen den Rest der Band mit ein. Wichtig war, im Fluss zu bleiben.
Es gab also keinen festen Fahrplan hinsichtlich der Art und Weise, wie ihr die Platte produziert habt?
Aarich: Nein. Zwischen den Sessions verging teils viel Zeit. Dadurch griffen wir immer wieder auf Sachen zurück und bearbeiteten sie neu.
Wie lang dauerte die Arbeit an dem Album?
Emiliana: Vier Jahre.
Kobe: Ja, Covid machte uns da einen Strich durch die Rechnung.
Seid ihr zufrieden mit dem Ergebnis?
Kobe: Dass wir die Platte veröffentlicht haben, könnte das vermuten lassen. (lacht)
Emiliana: Ja! (lacht)
Es gibt Musiker*innen, die berichten, dass sie an einen Punkt kommen würden, an dem es ihnen schwerfalle, Songs gehen zu lassen, da sie immer wieder neue Dinge finden, die sie noch verändern könnten. Also beschließen sie, aktiv einen Schlussstrich zu ziehen.
Emiliana: Das ging uns tatsächlich auch so. Wir mussten irgendwann eine Entscheidung fällen, wann wir aufhören würden. Dafür orientierten wir uns an der Anzahl von Titeln, die auf eine Vinyl passen. Sonst hätten wir wohl ewig weitergemacht.
Dazu ist es noch nicht zu spät.
Emiliana: Stimmt! (lacht)
Emiliana: Ohne die Pandemie wäre das aber auch ein komplett anderes Album geworden. Wir waren von außen derart limitiert. Das wiederum sorgte paradoxerweise aber auch dafür, dass wir es irgendwie überhaupt nicht waren. So hatten wir nämlich Zeit und Ruhe und konnten neue Dinge lernen, was wirklich hilfreich war.
Kobe: Keinen Zeitplan zu haben, dem wir folgen konnten, hatte tatsächlich einen Einfluss. Wir mussten Woche für Woche schauen, wie es weitergehen würde. Alles unterlag ständigen Veränderungen. Schlussendlich, wie Emiliana sagte, war das aber ein großes Plus für uns. Dadurch hatten wir die Möglichkeit, Songs und Demos mehrfach zu überarbeiten.
Sind die Pandemie und die damit verbundene Isolation denn Themen auf „Racing The Storm“? Oder wolltet ihr das bewusst vermeiden?
Emiliana: Ursprünglich hatten wir geplant, ein Tanzalbum zu machen. Das war dann nicht mehr passend. Die jetzigen Lyrics sind wie Briefe an frühere Zeiten. Erinnerungsschnipsel, Geschichten. Covid hatte darauf wenig Einfluss, wenngleich es Andeutungen geben mag.
Kobe: Vielleicht dezente Reflexionen. Wenn ich mich recht entsinne, war es aber eine klare Entscheidung, nicht direkt über die Pandemie sprechen oder Meinungen dazu äußern zu wollen.
Aarich: Nur versteckte Hinweise.
Emiliana: In Island war eh vieles anders. Covid war nicht so politisch aufgeladen. Unsere Politiker traten zur Seite und überließen den Ärzten das Reden. Wir bekamen täglich hilfreiche Informationen und hatten weniger Angst. Es schien nie darum zu gehen, Menschen trennen zu wollen.
Das Colorist Orchestra ist bekannt dafür, neue, spannende und eigentümliche Instrumente zu entwickeln. Habt ihr das dieses Mal auch getan?
Aarich: Beim ersten Besuch bei Emiliana hatten wir keine Instrumente dabei, also mussten wir für Demoaufnahmen auf andere Dinge zurückgreifen. So öffneten wir sämtliche Schubladen und suchten nach passenden Gegenständen, um Sounds zu machen.
Emiliana: Wir klopften auf die Tische, mein Baby machte Geräusche. (lacht)
Kobe: Das Momentum steht im Mittelpunkt. Als wir zu Beginn die Instrumente und Musiker zusammenstellen wollten, dachten wir noch über vieles nach. Aarich baute damals beispielsweise ein paar Gerätschaften zusammen. Dann verselbstständigte sich aber alles und wir nutzten unterschiedlichste Dinge. Zum Beispiel auch bei dem Titel für die „Mumins“-Serie. Wir wollten eine Snare-Drum einsetzen, die nicht allzu aggressiv klingt. Im Garten fanden wir kleine Steine, die wir Kindern gaben, um damit zu klopfen und dazu zu singen. Vor allem Aarich findet überall Sachen, die er nutzen kann. Selbst in Mülleimern, wenn er sie durchforstet. (lacht) Uns triggern sämtliche Geräusche, die die Umwelt erzeugt.
Und all diese Zufallsinstrumente eurer ersten Sessions, all die umfunktionierten Gegenstände sind jetzt auch auf „Racing The Storm“ zu hören?
Aarich: Einige, ja!
Kobe: Nichts ist obligatorisch. Einzig Bassgitarre und Schlagzeug wären im Prinzip auch in Ordnung gewesen.
Meinst du? Bei kreativen Köpfen wie euch?
Kobe: Vielleicht nicht. (lacht)
Welchen Ungewittern musstet ihr denn in euren Leben trotzen? Möchtet ihr etwas mit uns teilen?
Emiliana: Vermutlich die üblichen Dinge. Geliebte Menschen zu verlieren. Wir mussten uns bereits von Elternteilen verabschieden, was einem großen Sturm gleichkam.
Kobe und Aarich: Ja.
Emiliana: Auch meine Hochzeit, wenngleich sie ein Sturm des Glücks und der Freude war. Meist geht es doch um die Menschen, die dich umgeben.
Die Musikindustrie hat sich stark verändert und bringt so viele neue Herausforderungen und Ungewissheiten mit sich. Kann das auch erschüttern?
Kobe: Diesbezüglich befinden wir uns aktuell im Zentrum des Sturms.
Emiliana: Ich denke, da geht einiges vor sich und die großen Plattenfirmen wissen mehr, als sie zugeben. Doch ist neben der wütenden Zerstörung auch die Gelegenheit da, Wagnisse einzugehen.
Viele Künstler*innen müssen Shows absagen, weil diese zu große finanzielle Risiken darstellen.
Kobe: Absolut.
Emiliana: Man weiß nie, wer schlussendlich zu einem Konzert kommen wird. Auch wir mussten unseren Gig in München canceln.
Kobe: Die Balance zu halten, Künstler und Businessmensch gleichzeitig zu sein, das ist für mich am herausforderndsten. Sich um alles kümmern zu müssen. Um vieles davon möchte man sich eigentlich gar nicht kümmern. Es ist nicht leicht, auf Tour zu gehen und Konzerte zu buchen. Alles ist ein Glücksspiel. Nicht nur für uns drei, sondern für die ganze Band. Aber das Schöne ist, dass wir alle das Risiko hinnehmen. Wenngleich Gefahren auf uns lauern. Doch schauen wir da einfach weg! (lacht) Mit Positivität und einem Lächeln kann man vieles durchstehen. In Kuba sagt man, man muss dem Sturm entgegengehen. Das tun wir und das macht auch Spaß.
Emiliana: So wie die Büffel, Hirsche und Rehe. Sie drehen sich dem Unwetter zu und marschieren in seine Richtung, um es schneller hinter sich zu bringen.
Ihr werdet gleich wieder auf der Bühne stehen. Was macht dieses Erlebnis besonders?
Emiliana: „Jungle Drum“ ist ein schönes Beispiel dafür. Wenn wir proben, frage ich mich immer wieder, warum ich den Song überhaupt noch performe. Stehe ich dann aber vor Publikum, dann passiert irgendetwas Magisches, das den Song mit Liebe auffüllt und mich mit Energie beschenkt. Die Musik füttert dich mit Hoffnung und Licht. Deshalb könnte ich das ewig tun.
Aarich: Jeder Veranstaltungsort ist anders. Die Erfahrung zu machen, wie die Musik im Raum funktioniert, wie die Akustik klingt und wie unterschiedlich die Menschen in verschiedenen Städten mit uns interagieren, ist spannend.
Emiliana: Die Elbphilharmonie hat sich wie ein Bienenstock angefühlt, in dessen Mitte wir auftraten. Ich als Bienenkönigin. (lacht) Am nächsten Tag dann ein komplett trockener Sound in einem kleineren Venue, bei dem wir bis kurz vorm Schluss wenig Feedback vom Publikum erhielten. Es fühlte sich fast nach einem Poetry-Abend an. Sehr still, wie in einem Jazz-Club. Im Gegensatz zu dem Diva-Moment am Vorabend. All diese Farben und Geschmäcker, die von Show zu Show variieren, begeistern mich.
Kobe: Das Schöne ist, dass selbst beim Soundcheck jeder von uns alles gibt. Jeder will das Beste. Das ist nicht selbstverständlich.
Wir haben vorhin schon kurz darüber gesprochen. Ihr habt ein Stück zum „Mumins“-Soundtrack beigesteuert. Was fasziniert euch an diesen kleinen Wesen?
Emiliana: Kulturell gesehen, sind die Mumins eine Riesensache! Ich bin ein totaler Fan. Diese kleinen, fluffigen Kreaturen, die aber auch eine dunkle Aura umgibt. Unglaublich menschlich. Tove Jansson hat ein unglaubliches Gespür dafür, unsere Vielschichtigkeit zu sehen und abzubilden. Auf lustige und intelligente Weise. Vor allem in den alten Büchern.
Aarich: Ich bin besessen von Spielzeugen und Kinderbüchern. Meine Eltern hatten einen Spielzeugladen und sie verkauften auch viele Fabrikate aus Ostdeutschland.
Hier erklärt sich die Liebe für all die ungewöhnlichen Sounds. Vielen Dank für dieses erfrischende Gespräch!
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