REVIEW: Nonkeen „The Gamble“

Nonkeen by Studio SpektralAls Kind scheint alles möglich. Kein Traum zu hoch gegriffen, kein Gedanke zu abwegig. Doch irgendwann holt uns die Realität ein und trifft uns dann meist mit ihrer vollen Härte.
Bereits zu Schultagen, genauer gesagt Ende der Achtziger, werkeln Nils Frahm, Frederic Gmeiner und Sebastian Singwald emsig an gemeinsamen Aufnahmen herum. Ganz wie es sich für die damalige Zeit gehört, nutzen sie stilecht einen Kassettenrekorder, um all die interessanten Geräusche der Umgebung und erste selbst produzierte Klänge einzufangen. Trotz eines geteilten Deutschlands – Singwald lebt in der DDR, Frahm und Gmeiner in der BRD – bleiben die Jungen stets in Kontakt. Mit der Wiedervereinigung erfolgen dann regelmäßig Ferienbesuche von Frahm und Gmeiner in Berlin, auch, um dort zusammen mit Singwald auf einem von dessen Onkel organisierten Rummelplatz im Plänterwald aufzutreten. Und dann schlägt das Schicksal zu. Während sie auf der Bühne stehen, kommt es im Sommer 1997 zu einem Kettenkarussellunfall in unmittelbarer Nähe. Der darauffolgende Schock sitzt derart tief, dass die Heranwachsenden beschließen, ihr Improvisationskollektiv aufzulösen. Doch sollte dies noch lange nicht das Ende der Geschichte sein. Zehn Jahre nach den beschriebenen Ereignissen führt ein ausschweifender Abend, mit viel Alkohol, zu der Erkenntnis, dass es einen Neustart brauche, um die bösen Erinnerungen ein für alle Mal loszuwerden.

The GambleAls habe ein Therapeut sie dazu angewiesen, sich der eigenen Vergangenheit zu stellen, kramen Singwald, Frahm und Gmeiner die alten Tapes wieder hervor und beginnen, mit dem darauf befindlichen Material herumzuexperimentieren. Entschieden halten sie dabei an ihrer bewährten Aufnahmetechnik fest und nutzen vor allem Vierspur-Rekorder und alte Stimmmikrofone, um neue Elemente hinzuzufügen. Das Projekt entwickelt langsam aber sicher eine unaufhaltsame Eigendynamik, die in der Gründung Nonkeens und dem Album „The Gamble“ mündet. Ein echtes Wagnis stellt die Platte dabei ihrem Namen entsprechend allem voran für Frahm dar, der als Wunderkind der postmodernen Klassik einen Ruf zu verteidigen hat. Doch scheint sich in den heutigen Tagen zunehmend herauszukristallisieren, dass Jazz, Klassik und elektronische Musik eine wesentlich größere Schnittmenge haben, als man langläufig vielleicht vermuten mag. Und so schwirren auch Nonkeen schwerelos durch eine bizarre Welt aus akribischen Klangmustern, denen ein fast schon mathematischer Charakter zugrunde liegt. Zurückhaltend und mit größter Sensibilität nehmen sich die drei Mittdreißiger ihrer früheren Ideen an, denken diese weiter und runden sie durch eine gedankenversunkene, detailverliebte Produktion ab. Das Ergebnis sorgt für großes Staunen. Selten hat eine Platte einen stimmigeren Bogen spannen können, der zugleich mehrere Jahrzehnte – auch tonal – miteinander verbindet. „The Gamble“ koloriert eindrucksvoll eine graue Vergangenheit, als blicke man plötzlich zum ersten Mal auf ein angegilbtes Farbfoto aus den eigenen Kindertagen, und das, wo man sich doch immer sicher gewesen war, es habe nur Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus dieser Zeit gegeben.

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