REVIEW: Mélanie Pain „Parachute“

melanie-painSich der eigenen Haut zu entledigen und in eine andere schlüpfen zu können, wie oft gibt es Momente im Leben, in denen man sich genau das wünscht? Und doch müssen wir als Menschen mit dem, was und wer wir sind, auskommen lernen. Als Musiker hat man es da manchmal einfacher. Denn mit jeder neuen Veröffentlichung hat man auch immer ein Stück weit die Möglichkeit, die eigene Identität umzukrempeln, sie hinter sich zu lassen und neue Rollen auszuprobieren. Zumindest auf künstlerischer Ebene. Mélanie Pain wurde als Mitglied des Coverprojekts Nouvelle Vague weltweit bekannt. Mit dem Erfolg der Kombo setzte jedoch auch ein Etikettierungsprozess ein, mit dem Pain bis heute zu kämpfen hat. Häufig auf den durchaus charmanten Titel Voice of Nouvelle Vague reduziert, sehen viele in ihr einzig die zuckersüße Chanteuse, die Stücken wie „Dance With Me“, „Blue Monday“ oder „Teenage Kicks“ ihre Stimme lieh. Dabei schafft es Pain wie nur wenige ihrer Kolleginnen, Gegenentwürfe zu dem zu zeichnen, was man oberflächlich vielleicht in ihr zu erkennen glaubte. Dies begann 2009 mit ihrem Folk-Pop-Debüt „My Name“, setzte sich 2013 auf dem synthielastigen Nachfolger „Bye Bye Manchester“ fort und gipfelt nun in ihrem neuen Album „Parachute“.

parachutePains persönlicher Rettungsfallschirm scheint dabei ihr unablässiger Experimentierwille zu sein. So ist auch „Parachute“ eine Platte, die beherzt mit alten Gewohnheiten bricht. Erneut geht die Französin auf tonale Entdeckungsreise und entwirft eine durchweg eigenwillige Vorstellung zeitgenössischer Popmusik – verrucht und lieblich zugleich. Ein scheinbarer Widerspruch, der für Spannungen sorgt und aus einem herkömmlichen ein nachhaltiges Hörerlebnis macht. Als Produktionspartner holte sich Mélanie Pain für „Parachute“ einen recht unerwarteten Mann ins Boot: Gael Rakotondrabe. Rakotondrabe, der vor allem für seine Kollaborationen mit CocoRosie und Antony Hegarty gefeiert wird, rückt Pains Melodien und Texte in ein bizarres Zwielicht, welches ihnen überaus gut steht und ungeahnte Seiten an diesen zum Vorschein bringt. Vom Opener „Comme Une Balle“ über das nebulöse „Lá Oú L’été“ bis hin zum exotischen „Rio“ – Pain und Rakotondrabe fahren gemeinsam eine auditive Weitläufigkeit auf, die es mit allen Mitteln zu erkunden gilt. Und doch verzichten sie bewusst auf den Einsatz von Gitarren und stützen ihre Kompositionen stattdessen auf das Klavier als Grundinstrument.
Wie einer dieser vollgestopften Spielzeugläden, in denen man auch beim hundertsten Besuch noch allerlei spannende Dinge entdecken kann, lockt auch „Parachute“ mit verheißungsvollen Ecken und Enden.

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