Musikalische Aktivistin: Selma Judith sorgt mit ihrem Erstling „Getting Angry, Baby“ für Unruhe, bietet aber auch kluge Denkanstöße und wohltuende Klangmuster.
Lars von Trier ist einer der am kontrovers diskutiertesten Regisseure unserer Zeit. In der Vergangenheit sorgte der 65-Jährige immer wieder für Skandale und Aufreger, hinterließ der Filmwelt aber gleichzeitig eine Reihe außerordentlich intensiver Lehrwerke über die Abgründe der menschlichen Psyche. Ähnliches gilt für die Musik, die seine Tochter Selma Judith auf ihrem Debüt „Getting Angry, Baby“ zusammengetragen hat. Einfach zu ergründen ist dieses nämlich keineswegs. Zwar huldigt die Dänin einem Pop-Kosmos, der durchaus auch auf gängige Ästhetiken des Genres zurückgreift, doch offeriert die Platte mindestens genauso viele Irritationen, Brüche oder gar Provokationen. Selma Judith scheint förmlich nach diesen zu suchen. Vor allem um Kontraste zu schaffen, wo die Alben von Kolleg*innen gern ins Leere laufen oder sich in Belanglosigkeit verlieren. Mutig vermischt sie ihr elfengleiches Harfenspiel mit souligen Gesangspassagen, schreit dann und wann ins Mikrofon und wechselt stetig zwischen Zuckerbrot und Peitsche, was die Dynamik der 20 Tracks betrifft. Während Stücke wie „Heartbeat“ oder „Hollow Grounds“ zugänglich und sanftmütig wirken und ein wenig an die frühen Werke von Selma Judiths Landsmännin Nanna Øland Fabricius alias Oh Land erinnern, mahnt „Our House Is On Fire“ mit einer Rede Greta Thunbergs eindringlich, den Klimawandel ernstzunehmen, indes „Her Instead“ zu einem fiebrigen Mantra à la Björk anschwillt. „Getting Angry, Baby“ ist vielschichtig und furchtlos. Eine LP, der man mit einer Aufmerksamkeitsspanne begegnen sollte, die weiter als drei, vier Minuten reicht.
Kommentar verfassen