REVIEW: Sóley „Mother Melancholia“

Nachdenkliche Endzeitszenarien, die nicht ohne Gänsehautschauer auskommen: Sóley liefert mit „Mother Melancholia“ einen Abgesang auf unsere Existenz.

Seit Ewigkeiten beschäftigen sich Menschen mit der Zukunft, aber auch damit, wie diese ein jähes Ende finden könnte. Urvölker beschworen in Malereien, Schriften oder mündlichen Überlieferungen verheerende Dystopien herauf und prognostizierten den Zerfall der Welt. Auf ihrem vierten Studioalbum „Mother Melancholia“ widmet sich die Isländerin Sóley ebenfalls der potenziellen Apokalypse, beziehungsweise mahnt sie, dass ein Umbruch in unserer Gesellschaft bevorstehe, der derart markant sei, dass sich grundsätzliche Gegebenheiten für immer verändern dürften. Ein Thema, dass sie dabei ganz bewusst auch streift, ist das der dialektischen Weiblichkeit. Leben schenken, Leben nehmen. Frauen werden in patriarchalischen Kontexten einerseits als harmoniestiftend, andererseits aber als sündig-dämonisch beschrieben. Ihnen allein wird die Kraft zugesprochen, die Menschheit zu retten oder für immer ins Verderben zu stürzen. In den zehn Stücken des Albums greift Sóley diesen Widerspruch auf und verwandelt ihn in beinahe wahnhafte Instrumentierungen. „Mother Melancholia“ ist trotzdem nicht nur finster und aufreibend – auch wenn Titel und Cover dies ebenso vermuten lassen. Die Platte bietet durchaus auch verträumte Momente, wie man sie von früheren Werken der 34-Jährigen kennt. Während ihrer Konzerttour im Herbst 2019 erprobte Sóley einige der Stücke von „Mother Melancholia“ bereits vor Publikum. Damals entschuldigte sie sich dafür, dass sie nichts Fröhlicheres in petto hätte. Der frenetische Applaus der Zuhörer deutete jedoch an, dass ihr Mut, sich mental und emotional in beklemmende Szenarien zu stürzen, durchaus Anklang findet. Manchmal braucht es eben einen Weckruf, denn viel zu oft verdrängen wir unsere Verantwortung, auf uns und diese Erde aufpassen zu müssen. Nun klopft der Tag des Jüngsten Gerichts vielleicht schon im Takt von „Sunrise Skulls“, „Hysteria“ oder „In Heaven“ an unsere Tür.

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