REVIEW: Hercules & Love Affair „In Amber“

Nach Kontaktabbruch und langer Funkstille zeigen sich Anohni und Hercules & Love Affair endlich wieder vereint, und zwar auf Albumlänge: „In Amber“.

Wut und Selbstzerstörung sind oft zwei Seiten ein und derselben Medaille. Andrew Butler gründete 2004 das Projekt Hercules & Love Affair, um mit all der Verletzung umzugehen, die er seit seiner Kindheit als schwuler Junge hatte aushalten müssen. Seine Kraft fand er damals in glitzernden Discosounds und treibenden House-Beats. Gemeinsam mit unterschiedlichen Gastsänger*innen hisst Butler seitdem selbstbewusst die Flagge für queere Identitäten. Und das tat er schon, noch bevor findige Marketingstrategen dies als erfolgssteigernde Verkaufsstrategie identifizierten und nutzten. Doch, wer wie der New Yorker gegen das System in den Kampf zieht, wer als kreatives Sprachrohr fungiert, wird schnell mit einem derartigen Druck konfrontiert, dass nicht daran zu zerbrechen, eine ganz eigene Entwicklungsaufgabe darstellt. Eine Zeit lang fand der sensible Sänger, Songwriter, Produzent und DJ in exzessiven Partynächten Zuflucht, wo auch Drogen zu seinen steten Begleitern wurden. Freund*innen wie die Sängerin Anohni, die auf der Durchbruchssingle „Blind“ (2008) zu hören war, wandten sich von ihm ab und so stürzte er immer tiefer in die Abhängigkeit. Heute ist Butler clean und auch Anohni ist nach über einer Dekade wieder an seiner Seite zu hören. Gemeinsam haben Hercules & Lover Affair und die politische Aktivistin und Ausnahmemusikerin ein sprichwörtliches Brett von einer Platte erschaffen. „In Amber“ setzt auf gnadenlose Ehrlichkeit und Entwaffnung als Stilmittel. Die LP prangert geschickt das an, was viele von uns zerstört. Nämlich die Engstirnigkeit einer Gesellschaft, die noch immer nicht verstanden hat, dass Akzeptanz kein Wenn und Aber, keine Abstufungen kennt. Statt wie sonst auf opulente, zum Tanz animierende Electro-Kompositionen zu setzen, hat sich Butler dieses Mal dafür entschieden, seine Texte mithilfe von düstereren, metallenen Industrial-Gothrock-Impulsen zu vertonen. Besser hätte seine Wahl nicht ausfallen können. Denn die Instrumentierungen lassen jeden einzelne Zeile auf „In Amber“ zu einem Statement werden. Wer sich dabei an Anohnis mit dem Mercury Prize ausgezeichnetes Album „Hopelessness“ erinnert fühlt, der liegt keineswegs falsch – bildet es vermutlich eine deutlich passendere Referenz als frühere Werke von Hercules & Love Affair, was daran liegt, dass die einstige Frontfrau von Antony and the Johnsons den Charakter von „In Amber“ bewusst mitgeformt und zudem der Hälfte der 12 Tracks ihre Stimme geliehen hat. Fast versöhnlich wirkt die Platte nun. Sie weiß ihre Botschaften mit leisem Nachdruck zu betonen und verzichtet auf großangelegte Kamikaze-Kommandos. Denn manchmal ist es sinnvoller, das Gegenüber durch das Senken der Lautstärke zum Zuhören zu zwingen, als es lauthals anzuschreien. Kein Album ist geeigneter, um dem Pride-Monat Juni ein Denkmal zu setzen!


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