In Hochform: Auf „Formentera“ klingen Metric wie die beste Version ihrer selbst.
Es gehört schon Mut dazu, eine Platte mit einem opulenten, über zehnminütigen Opener beginnen zu lassen. Gerade in einer Zeit, die von Schnelllebigkeit dominiert wird. Einer Zeit, in der die Aufmerksamkeitsspanne vieler auf 15 Sekunden, die uns verschiedene Social-Media-Plattformen abverlangen, begrenzt zu sein scheint. Ein Eröffnungsstück ist wie der erste Eindruck bei einem Kennenlernen, wie die Visitenkarte eines Unternehmens, wie der Flyer zu einer anstehenden Party. Es entscheidet darüber, ob Interesse beim Hörer geweckt wird oder ob er lieber abschaltet und sich anderen Dingen zuwendet. Trotz der erwähnten Länge und des damit einhergehenden erhöhten Risikos, die Zuhörenden zu verlieren, haben Metric den Titel „Doomscroller“ dazu auserkoren, diese wichtige Stellvertreter-Aufgabe zu übernehmen, was dem Stück mit Bravour gelingt. Nicht zuletzt, weil es eine Art Quintessenz der bisherigen Diskografie der Kanadier darstellt. „Doomscroller“ bietet alles, was das Fan-Herz begehrt: Düstere Synthesizer, vitalisierende Gitarrenriffs, Emily Haines unvergleichbar charakteristischen Gesang und sogar eine fragile Klavierpassage, die eine Melodie enthält, die sofort zum Mitsummen animiert. Die Messlatte ist damit gesetzt, und zwar derart hoch, dass es schon eine gewisse Portion Mumm braucht, sie mit dem Rest der Platte weiter überspringen zu wollen. Womit wir wieder beim Anfangsthema wären. Denn wenn es Metric an einer Fähigkeit nie gemangelt hat, dann der des Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten. Seit über zwanzig Jahren sind sie im Geschäft und haben dem stilistischen Stillstand immer wieder ein Schnippchen geschlagen, wofür sie mit einer stetig wachsenden Hörerschaft belohnt wurden. Jimmy Shaw, Emily Haines und ihre Kollegen waren eine der ersten Indierock-Bands, die ganz bewusst elektronische wie poppige Elemente in ihre Kompositionen integrierten. Was nicht wenige Rezensenten als Verrat an der eigenen Herkunft werteten, entpuppte sich hingegen als zuverlässiges Gespür für aufkommende Trends. Auch „Formentera“, das mittlerweile achte Studioalbum der Band, lebt von der Mischung aus rockiger Härte und verspielter Electronica-Extravaganz. Ganz nebenbei arbeitet sich das Quartett textlich an der weltpolitischen Lage und den Folgen der Corona-Pandemie ab. Der Titel „Formentera“ steht dabei für den real existierenden Sehnsuchtsort im Mittelmeer, einem charmanten, spanischen Eiland, das den Bandmitgliedern aufgrund waltender Isolations-, Quarantäne- und Lockdown-Regelungen plötzlich ferner denn je schien. Statt aber in Verzweiflung zu verfallen und ihre Songs wie zahlreiche Kollegen mit Melancholie und Traurigkeit zu beladen, haben Metric kurzerhand ein kleines, in Neonfarben getunktes Paralleluniversum – wie auf dem Cover angedeutet – erschaffen, das auch heute, wo die Flugzeuge und Schiffe Formentera wieder ansteuern, Zuflucht bietet, wenn man sich einmal verloren glaubt.

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