Carl Newman ist das Leitfeuer, die Kompassnadel der kanadischen Supergroup The New Pornographers. Regelmäßig bringt er die Mitglieder, die allesamt anderen musikalischen Projekten entstammen, zusammen ins Studio oder auf die Bühne. Uns verriet der 55-Jährige, was das Projekt auch nach über 25 Jahren noch so erfolgreich und das neue Album „Continue As A guest“ zu einem echten Meilenstein innerhalb der umfangreichen Diskografie macht.
Im Laufe der Jahre habt ihr es immer wieder geschafft, als Band zusammenzukommen und gemeinsam Alben aufzunehmen. Was hat es dazu gebraucht?
Es hilft, dass wir noch nie eine Vollzeitband waren. Immer wieder gibt es Pausen, lange Phasen, in denen wir uns überhaupt nicht sehen. Wir werden einander nicht überdrüssig. Ich bin immer froh, sie zu sehen. Jeder hat seine eigenen kreativen Möglichkeiten, so dass es nie einen Wettbewerb um den kreativen Raum innerhalb der Band gibt.
Wenn du auf eure Diskografie zurückblickst, wie hat sich diese im Laufe der Jahre verändert?
Ich denke, dass wir am Anfang definitiv eine hyperaktive Band waren, mit einer maximalen und chaotischen Energie. Es hat nicht lange gedauert, bis ich nach einem anderen Vibe gesucht habe. Die anarchistische Kraft taucht zwar immer noch hier und da auf, weil sie Teil unserer DANN ist, aber ich kann den Versuch hören, sie über die Jahre zu verändern und zu bändigen. Ich kann hören, wie ich versucht habe, neue Wege zum Schreiben zu finden. Ich wollte Balladen komponieren, geräumigere Songs, und außerdem mit verschiedenen Grooves spielen.
Was war eine der schönsten Anekdoten aus der Vergangenheit der New Ponrographers und was der herbste Tiefschlag?
Einer meiner Lieblingsmomente in unserer Bandgeschichte war, als wir zum ersten Mal in der Late Show mit David Letterman auftraten. Ich erinnere mich, wie ich dort stand und darauf wartete, zu spielen, umgeben vom Publikum, den Kameras, der Band und David, am Set einer Fernsehshow, die ich verfolgte, seit ich 14 Jahre alt war. Es war kraftvoll, surreal und wundersam. Tiefschläge? Kurz vor einem anderen Fernsehauftritt, bei Conan O’Brien, erfuhren wir, dass Kathryn, die sehr wichtige Keyboardparts spielte, aufgrund von Einwanderungsproblemen nicht mit uns auftreten konnte. Das war schon stressig, wenn man einen Song kurz vor einem Fernsehauftritt neu lernen muss. So gestresst war ich noch nie.
„Continue As A Guest“ ist euer neuestes Werk. Inwiefern ist es genau die Platte geworden, die du dir vorgestellt hast?
Wenn wir eine Platte machen, experimentieren wir oft mit Klängen, Gefühlen und verschiedenen Instrumenten. Bei dieser Platte haben wir angefangen, Saxophon und Mandoline hinzuzufügen, und das fühlte sich nach dem Vibe an, den wir wollten. Wir haben auch mehr Loops als Basis für die Songs verwendet und versucht, die Texturen der Loops mit einer organischeren Instrumentierung zu verschmelzen. Das fühlte sich richtig an.
Stilistisch greift ihr alte Motive auf und wirkt trotzdem innovativ. Was bringt den frischen Wind in eure Kompositionen? Und wie wichtig war es euch, Brücken zu früheren LPs zu schlagen?
Ich bin immer auf der Suche nach neuen Ansätzen, um Songs zu schreiben. Ich habe nicht das Bedürfnis, Brücken zu früheren LPs zu schlagen, denn die wird es eh immer geben. Unser Stil, mein Stil, kommt durch, egal was ich mache. Darauf kann ich vertrauen. Wenn ich schreibe und Demos mache, probiere ich neue Dinge aus. Ich vereinfache Ideen so weit wie möglich. Manchmal fange ich mit einem Text statt mit der Musik an, dann beginne ich wieder nur mit einem Beat. Verschiedene Ansätze zu nutzen, ist wichtig, um es für mich interessant zu halten.
Viele Musiker reflektieren auf ihren aktuellen Alben die Pandemiezeit. Das gilt in gewisser Weise auch für „Continue As A Guest“. Wie haben die Covid-19-Welle und die damit verbundenen Einschränkungen dich als Künstler geprägt?
Die Pandemie hat mich vor allem deshalb geprägt, weil sie mir viel Zeit verschafft hat. Viel Zeit, um an Songs zu arbeiten und mich zu fragen, welche Art von Stücken ich schreiben möchte. Es gab keine Eile, keinen Druck. Das hat sich auch in die Texte eingeschlichen, weil es nicht zu ignorieren war. Die Welt hatte sich verändert. Irgendwie hat das unsere Musik ehrlicher gemacht.
Schon vor der Pandemie hatte die Musikindustrie verschiedene Erschütterungen zu verkraften. Was kann deiner Meinung nach getan werden, um diesen auch zukünftig standzuhalten?
Ich weiß nicht, was man tun kann, um das Musikgeschäft zu erhalten. Ich versuche, nicht darüber nachzudenken. Ich wurde in der Musik erfolgreich, indem ich das Geschäft ignorierte und einfach die Musik machte, die ich machen wollte. Die Musik ist der Teil des Ganzen, den ich kontrollieren kann, also konzentriere ich mich darauf.
Woran bemerkst du persönlich den Wandel der Branche?
Den größten Unterschied machen die Plattenverkäufe. Man spielt vor dem gleichen Publikum, aber die Verkäufe sind um 80 % zurückgegangen. Das bedeutet, dass man weniger Geld verdient. Wir müssen auch feststellen, dass wir eine andere Art von Presse haben. Anstelle von Zeitschrifteninterviews sind wir jetzt häufiger in Podcasts zu hören. Heutzutage ist alles ein bisschen interaktiver.
Welchen Rat würdest du als „alter Hase“ Neulingen in der Branche geben?
Ich würde ihnen raten, so viel wie möglich von ihrer Musik in ihrem Besitz zu behalten. Sie sollten die Veröffentlichung und die Master nicht aus der Hand geben und versuchen, so weit wie möglich autark zu sein.
Euer Bandname führt häufiger zu Warnhinweisen, wenn man ihn googelt. Wie zufrieden seid ihr heute noch damit?
Der Name hat uns gelegentlich Probleme bereitet, aber er hat auch dafür gesorgt, dass die Leute auf uns aufmerksam wurden. Es ist ein zweischneidiges Schwert. Nur ist es eben der Name, der uns zugedacht war. Für mich hat er keine Bedeutung mehr, er ist jetzt einfach unser Name. Er beschreibt die letzten zwei Jahrzehnte meines Lebens.
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